Der andersartige Weise

Die Geschichte vom Mann, der Fürze studierte

Aus dem brasilianischen Portugiesisch von Nicolai von Schweder-Schreiner

2. Kapitel

Wissenschaftliche Forschungsarbeiten kosten leider viel Geld. Um auf seinem Gebiet auf dem neuesten Stand zu bleiben, sah sich der andersartige alte Weise gezwungen, viele, viele Bücher zu kaufen, darunter sogar einige importierte. Außerdem musste er Briefe, Päckchen und Schachteln mit Proben verschicken und darüber hinaus aus eigener Tasche ein komplett eingerichtetes Labor mit komplizierten und teuren Präzisionsgeräten unterhalten: ein Pupsometer und ein Furzometer, um Fürze zu messen; ein Furzoskop, um Fürze aus der Nähe zu betrachten; ein Furzglas, um Fürze aus der Ferne zu betrachten; ein automatischer Furzsortierer; eine luftdruckbetriebene Furzteilchensprengkapsel; ein Geruchskatalogisierer, ein Furzdichtenklassifizierer; spezielles Verpackungsmaterial; furzfördernde Gele sowie eine kleine Kühlkammer, um die gesammelten Gase in perfektem Zustand zu erhalten. Ganz zu schweigen von den diversen chemischen Substanzen, seltenen Kräutern, Tees, maßgefertigten Plastiktütchen, Karteikästen für die Aufzeichnungen und sogar einer Waage.

“Aber woher wissen Sie, dass Dona Conceiçãos Furz schwerer ist als meiner”, fragte eines Tages verblüfft der Vikar, der sich aus Barmherzigkeit bereit erklärt hatte, an jenen lächerlichen Versuchen teilzunehmen.

“Das ist elementarstes Grundwissen, lieber Pater!”, antwortete der andersartige Weise mit einem wissenden Lächeln auf den Lippen. “Zuerst einmal habe ich zwei gleich große leere Plastiktütchen genommen und sie gewogen. Dann habe ich die Gase eingefangen, in die Tütchen gefüllt und schließlich die gefüllten Tütchen gewogen. Die jeweilige Differenz zwischen dem Gewicht des vollen und des leeren Tütchens ist das exakte, genaue, präzise, eigentliche und einzige Gewicht des Furzes.”

Manche Leute brachen in Gelächter aus, wenn sie die Erklärungen des alten Weisen hörten. Andere schüttelten voller Sorge den Kopf.

Wenn er wieder einmal Geld brauchte, um seine Studien weiter finanzieren zu können, veranstaltete der andersartige Weise samstagnachmittags auf dem Platz ein, wie er es nannte, “Volksfurzfestival”. Er spannte zwischen zwei Bäumen ein Seil, hängte ein riesiges weißes Laken daran auf und setzte sich mit dem Rücken zum Laken auf einen Hocker. Das Stück Stoff diente als eine Art Vorhang, der nichts von gar nichts trennte.

Vor sich auf den Boden stellte der Erforscher der Gase seinen Hut.

Es war beeindruckend.

Freiwillig blieben die Leute lächelnd mit dem Rücken zum Laken gewandt stehen und furzten nach Herzenslust.

Auf der anderen Seite saß mit geschlossenen Augen und hoch konzentriertem, aber auch freudigem Gesichtsausdruck der Weise, nahm den klangvollen Duft auf und riet, von was für einer Art von Mensch er wohl stammte: ob Mann oder Frau; verheiratet, geschieden, verwitwet oder allein stehend; Erwachsener oder Kind; dick oder dünn; einheimisch oder Ausländer; fleißig oder faul; ob die Person zur Miete wohnte oder ein eigenes Haus hatte; zu viel oder zu wenig trank; gut oder schlecht gelaunt war; ob sie etwas für Musik übrig hatte und dergleichen mehr.

Und der alte andersartige Forscher, keiner wusste warum, lag fast immer richtig.

Eines Tages tat sich der reichste Mann der Stadt zum Spaß mit dem Bettler zusammen, der mit seinem Hund unter der Brücke wohnte. Die beiden saßen Hand in Hand hinter dem Laken, strengten sich an und ließen gleichzeitig ihre Flatulenzen ab.

Auf der anderen Seite des Lakens blähte der andersartige Weise die Nasenflügel auf, presste die Augen zusammen und gestand nach einer Weile verwirrt und unter lautem Gelächter:

“Das war der merkwürdigste Furz, den ich in meinem ganzen Leben gerochen habe. Er scheint mir von jemandem zu stammen, der gleichzeitig reich und arm ist!”

Er kratzte sich den weißen Kopf.

“Vielleicht ein armer Schlucker, der gerade im Lotto gewonnen hat. Oder ein Bankdirektor, der genau in diesem Augenblick alles verloren hat!”

Obwohl die Leute applaudierten und Münzen in den Hut des alten Weisen warfen, hielten sie das Ganze weiterhin für blanken Unsinn.

Eines Tages beschloss der Alte, bestimmte Aspekte der Darmgase beim Rind genauer untersuchen zu müssen.

Er machte sich auf den Weg zu einem nahe der Stadt gelegenen Bauernhof, bat um Erlaubnis, ging mit seinem Spezialpräparat in den Stall und befestigte, während das Vieh, ein riesiger Stier, fraß, vorsichtig das Tütchen unter seinem Schwanz.

Nachdem sich der Stier den Wanst voll geschlagen hatte, atmete er tief durch und ließ einen so kräftigen Furz los, dass die Tüte platzte.

Der alte Forscher war jedoch nicht so schnell aus der Ruhe zu bringen. Lächelnd öffnete er seinen Koffer und holte ein neues Tütchen heraus, diesmal aus importiertem, doppelt verstärktem Plastik.

Niemand weiß genau, was dann geschah.

Es muss wohl so gewesen sein, dass der Stier, der vielleicht verärgert war und keine Lust hatte, das Experiment zu wiederholen, dem armen Forscher einen Hornstoß und diverse Huftritte verpasste, weswegen dieser seitdem einen leichten Buckel hatte und ein Bein nachzog.

Seine Freunde kamen ihn im Krankenhaus besuchen, sie waren besorgt und voller guter Ratschläge:

“Vielleicht solltest du diese Geschichte mit den Fürzen besser sein lassen!”

“Hör auf, dein Leben aufs Spiel zu setzen!”

“Außerdem führen diese Untersuchungen ja doch zu nichts!”

Der alte Wissenschaftler lächelte und schüttelte den Kopf, ohne ja oder nein zu sagen.

In seinem Herzen jedoch erhob sich eine Stimme zu einem einzigen leuchtenden Ja.

Ja, er würde weitermachen. Ja, er würde immer tiefer in die Materie eindringen. Ja, er war sich fast sicher, eines Tages würde er die Furzologie beherrschen. Dann würde er alles darüber wissen und endlich eine vollständige Klassifizierung und Darstellung jedes Darmgases haben, das es auf der Welt gab.

“Erst wenn ich die Gase aller Lebewesen erforscht habe”, so versicherte er, “wird es mir möglich sein, den tieferen Sinn des Furzes zu verstehen!”

Und der Alte malte sich dreihundertdreiunddreißigtausenddreihundertdreiunddreißigkommadrei Fragen aus.

Warum zum Beispiel traten bei zwei Brüdern, die dieselben Eltern hatten, im selben Haus aufwuchsen, mit derselben Erziehung und derselben Ernährung, so unterschiedliche Gase auf? Warum haben Erwachsene und Kinder mehr oder weniger dieselbe Art von Gasen? Warum sind die Gase eines glücklichen Menschen anders als die eines Traurigen? Warum ähneln die eines Verliebten denen eines Träumers? Warum sind die eines stolzen Menschen anders als die eines großzügigen? Warum haben einsame Menschen andere Gase als die, die jede Menge Freunde haben? Warum sind sie bei Menschen, die schreiben können, prinzipiell ähnlich wie bei Analphabeten, in einigen Punkten aber vollkommen unterschiedlich? Warum furzen begeisterte und lebensvolle Menschen so anders als die freudlosen, hoffnungslosen, die sich ständig über alles und jeden beklagen? Warum lassen Musiker so fein gestimmte Fürze? Und vor allem: Wie sollte er all diese Entdeckungen zusammenbringen?

Das waren äußerst wichtige Fragen, auf die er noch keine befriedigende wissenschaftliche Antwort gefunden hatte, und diese Leute im Krankenhaus hatten die Stirn, ihm zu sagen, er solle seine Studien aufgeben!

Die Augen des Mannes, der im Pyjama im Krankenbett lag, leuchteten wie zwei Scheinwerfer.

“Zum Beispiel”, erklärte er seinen Freunden und Besuchern. “Nehmen wir einmal an, ich fände heraus, warum intelligente Menschen andere Gase abgeben als dumme. Ausgehend davon ließe sich vielleicht eine Methode entwickeln, über die Ernährung und durch spezielle Übungen die Gase der Dummen nach und nach so zu verändern, dass sie irgendwann denen der Intelligenten gleichen.”

Ein unruhiges Lächeln ging über sein Gesicht.

“Versteht ihr, was das bedeutet? Das ist revolutionär! Indem ich ihre Fürze untersuche, werde ich nicht denkende Menschen zu denkenden Menschen machen und so das Leben der Menschen und die ganze Welt verbessern!”

Die Besucher am Bettrand schüttelten mitleidig den Kopf und fragten:

“Das Leben der Menschen und die ganze Welt verbessern?”

“Aber ja!”, versicherte der Alte freudig. “Die Welt ist so traurig: Menschen leiden Hunger, während andere zuviel essen; es gibt Menschen, die nichts haben, während andere soviel haben, dass sie sich gar nicht an alles erinnern können; Menschen, die keine Schuhe zum Laufen haben, während andere ein eigenes Flugzeug besitzen!”

“Na und?”

“Na und? Die Ursache für all dies ist einzig und allein Dummheit!”

“Wie das?”, fragten die Freunde gelangweilt.

“Eine Welt, in der einige wenige alles haben und viele nichts, ist dumm und verkehrt. Wenn die Reichen sehr viel weniger hätten und der Rest der Bevölkerung sehr viel mehr, dann wären einfach alle, Reiche wie Arme, glücklicher!”

Sogar die Krankenschwestern, die alle Arten von Krankheiten gewohnt waren, hatten Mitleid mit dem hinkenden, buckeligen Alten, der von seinem Bett aus politische Reden hielt.

“Ich gebe euch ein anderes Beispiel”, sagte er. “Ein Land, das seine Kinder betteln gehen lässt, ist ein dummes Land. Jedes Kind stellt einen Samen dar: den Samen des Neuen, dessen, an das noch niemand gedacht hat. Ein verwahrlostes Kind kann, wenn man sich seiner annimmt, später einmal eine Entdeckung machen, die unser aller Leben verbessert!”

“Aber wie wollen Sie all das erreichen?”

“Das ist der Punkt!”, erwiderte der Alte lächelnd und rieb sich voller Zweifel und Hoffnungen die Hände.

Kaum war er aus dem Krankenhaus entlassen, atmete der andersartige Weise tief durch, krempelte die Ärmel hoch und nahm seine Studien wieder auf.

Obgleich er mehrere Stiche davontrug, gelang es ihm, die Gase von Wespen, Vogelspinnen, Skorpionen und Tausendfüßlern zu katalogisieren.

Auch die von Krokodilen und verschiedener Arten von Piranhas fing er ein und wäre dabei fast ertrunken.

Bei dem Gedanken an das Experiment mit dem Stier musste er lachen, hielt es dann aber im Zweifelsfalle für klüger, die Seekuh auf ein andermal zu verschieben.

Fast wäre er gestorben, als er den Furz eines Elefanten einfangen wollte, der im Zoo in Gefangenschaft lebte. Nachdem das Tier sein Spezialpräparat gefressen hatte, nahm es all seine Kräfte zusammen und ließ mit einem lauten Knall ein Torpedo los, dass es den Alten auf das Dach des Hauses gegenüber beförderte.

Mit der Zeit entwickelte der andersartige Weise eine bessere und effizientere Methode, die Flatulenzen einzufangen. Anstatt des veralteten, überholten und gefährlichen Befestigens von Plastiktütchen erfand er eine neuartige Tablette, die die Darmgase phosphoreszieren ließ. Hatte das Tier eine solche Pille geschluckt, hüpften die Gase wie Feuerwerkskörper durch die Luft. Und wenn sie dann wie in Zeitlupe umher trieben, konnte man sie mühelos mit Hilfe eines kleinen Staubsaugers einsammeln und in die Tüte füllen.

Je mehr Dinge er herausfand, desto glücklicher wurde der andersartige Weise.

Er fand heraus, dass Tiere, die im Wald leben, mildere Gase ausstießen als die in der Stadt.

Er fand heraus, dass die Gase von Indios und so genannten “zivilisierten” Menschen überraschende Ähnlichkeiten und Unterschiede aufweisen.

Er fand heraus, dass ein Mensch an ein und demselben Tag, abhängig von einer Reihe von Faktoren, verschiedene Arten von Gasen ausstoßen kann.

Der alte Wissenschaftler lächelte über jede neue Entdeckung.

Und so lernte er, indem er hier schnüffelte, da forschte und dort analysierte und verglich, nach und nach die verschiedenen Nuancen und Kniffe, die Erscheinungsformen, Konturen, Bedeutungen und allgemeinen Charakteristiken dieser komplizierten und unbekannten geruchvollen Wissenschaft der Furzologie kennen und verstehen.

(O sábio ao contrário. São Paulo, Ática/Senac, 2001)