Pedro träumt vom großen Spiel

(Pobre corinthiano careca. Tradução alemã)

Pedros ganze Liebe gilt der großartigsten, besten, einzig wahren Fußballmannschaft Corinthians São Paulo. Auf “seine” Corinthianos ist Pedro ebenso stolz wie auf seine Lockenpracht, um die ihn, den armseligen Habenichts, selbst die Reichsten in der Klasse beneiden – bis zu dem rabenschwarzen Tag, an dem sich herausstellt, dass sein Kopf voller Läuse ist! ää Mutter kennt kein Pardon: Die Haare müssen ab. Zu allem Übel muss Pedro auch noch eine scheußliche grüne Wollmütze aufsetzen, damit er sich mit dem Kahlkopf nicht erkältet. Ausgerechnet grün – die Farbe von Palmeiras, dem üblen Konkurrenz – team von Corinthians! Pedro würde am liebsten sterben…aber nicht vor Sonntag, denn da spielen die Corinthianos gegen die argentinischen Bocas!

AZEVEDO, Ricardo Pedro träumt vom großen Spiel (Pobre corinthiano careca). Trans. Nicolai von Schwedwe-Schreiner. Berlin, Elefanten Press, 1997.

(…) Die Mannschaften betraten das Spielfeld. Feuerwerk. Interviews. Fotos. Man hörte die Nationalhymnen beider Mannschaften. Die Kamera zeigte jeden einzelnen Spieler.

Diego Maradona war gut gelaunt und schlank, Er schien in Topform zu sein. Pedro rümpfte die Nase. Maradona und Caniggia sangen ergriffen die argentinische Hymne. Pedro bekreuzigte sich. Das Spiel begann.

Unglücklicherweise machten die Corinthianos einen unsicheren Eindruck auf dem Spielfeld. Zwei Minuten waren gespielt. Freistoß nahe am Strafraum für Boca. Maradona legte sich den Ball zurecht. Er nahm Anlauf, täuschte eine Flanke an, schoss dann aber mit voller Wucht aufs Tor. Der Torwart von Corinthians sprang ins Leere. Der Ball prallte gegen die Latte. Die argentinischen Fans schrien auf.

Pedro nahm eine Hand voll Popcorn und stopfte sie sich in den Mund.

Das Spiel ging weiter. Die Corinthianos waren nicht wieder zu erkennen. Nichts gelang. Kein Pass kam an. Die Minuten vergingen langsam. Viola beging ein weiteres Foul, beschwerte sich und bekam die rote Karte! Daraufhin überspielte Maradona zwei Gegner, lief bis zur hinteren Linie und flankte genau auf Caniggias Kopf – eins zu null für Boca Junior.

Frau Sueli zuckte mit den Schultern. Si war müde und gong in das andere Zimmer, um sich auszuruhen.

Die Corinthianos kämpften, aber es klappte nicht. Schlechte Pässe, krumme Schüsse und sogar die Einwürfe wurden vom Gegner abgefangen. Ein einziges Elend.

“So wird das nicht!” dachte Pedro und starrte auf den Bildschirm. Die erste Halbzeit war vorbei. Pedro ging ins Bald und ließ die Tür offen. Während er von oben seine beiden Füße auf dem Fliesenboden betrachtete, dazwischen die Kloschüssel und der plätschernde Wasserstrahl, dachte er darüber nach, warum sein Pipi manchmal schäumte und manchmal nicht.

Im Wohnzimmer gab der Moderator bekannt, dass in der zweiten Halbzeit bei Corinthians ein gewisser Chinfrim in den Sturm eingewechselt würde.

“Chinfrim?”, fragte sich Pedro, als er die Spülung drückte. Von diesem Spieler hatte er noch nie gehört.

Der Moderator auch nicht. Wie man von dem Reporter vor Ort erfuhr, handelte es sich um einen sechzehnjährigen Burschen, irgendein Junior, allerletzte Reserve, der gerade aus Rio Claro gekommen war, um bei Corinthians zu trainieren, und im Notfall einspringen sollte. Er war der einzige verfügbare Stürmer auf der Reservebank, und da der Sturm  nicht funktionierte, beschloss der Trainer, das Risiko einzugehen. Wenn der nichts taugte, dann hatten sie verloren, sagte der Trainer im Interview.

“Chinfrim”, dachte Pedro und rieb sich den kahlen Kopf mit beiden Händen.

Die zweite Halbzeit begann. Boca Juniors machte weiter Druck. Maradona nahm den Ball mit der Stirn an, balancierte ihn auf dem Kopf und lief mit ihm über das Spielfeld. Chinfrim, der kleine, dünne Mulatte, fast noch ein Kind, versuchte dem Argentinier den Ball abzunehmen, doch der hob ihn einfach über ihn drüber.

“Olé!”, schrien die Fans.

Pedro schluckte eine Hand voll Popcorn, ohne zu kauen. Die Corinthianos kamen einfach nicht an den Ball heran. Die Boca Juniors boten eine richtig gute Show. Und erst Maradona! Er dribbelte, grätschte, spielte dem Gegner zwischen den Beinen hindurch, Hackentrick, Außenrist, es war zum Heulen. Das Einzige, was Boca Gott sei Dank nicht gelang, war ein zweites Tor. Der Ball prallte gegen die Latte, gegen das Knie des Torwarts, gegen das Schienbein des Liberos, aber er ging nicht ins Netz. Ein Volleyschuss von Caniggia traf den Torwart von Corinthians am Hinterkopf und flog dann ins Aus. Bei Corinthians klappte das Zusammenspiel nicht. Chinfrim, der Arme, der heute zum ersten Mal spielte, lief herum wie ein Straßenköter, der im Berufsverkehr vor den Autos flüchtete.

Der Kommentator beklagte den Fehler des Trainers. Ohne Chinfrim war es schon schwierig genug, aber jetzt…

Während Pedro an den Fingernägeln beider Hände gleichzeitig kaute, zeigte die Kamera eine Nahaufnahme. Caniggia besprach  sich mit Maradona. Die beiden lachten. Das Fernsehen zeigte alles.

Einwurf für Boca. Maradona warf zu Cannigia, der zurück zu Maradona gab. Die beiden Argentinier spielten eine Reihe Doppelpässe, nur in die falsche Richtung. Statt auf das Tor von Corinthians zu spielen, liefen sie zurück zu ihrem eigenen, dem Tor von Boca Juniors. Die Fans applaudierten und lachten. Selbst die Boca-Spieler schien dieses Manöver zu verwirren. Die Corinthianos wussten nicht, ob sie stehen bleiben, weglaufen oder weinen sollten.

Der Schiedsrichter stemmte die Hand in die Hüfte und guckte zum Linienrichter. Was für eine Demütigung!

Pedro sprang auf und zerquetschte das Popcorn in der Hand. Die beiden argentinischen Cracks lachten und freuten sich und befanden sich inzwischen im eigenen Strafraum. In diesem Augenblick kam Chinfrim angeflitzt, nahm Maradona den Ball ab und beförderte ihn im Handumdrehen elegant in die Tiefen des Netzes.

“Toooooooooooooooooor!”

Pedro hüpfte wie ein aufgezogener Affe durch die Wohnung. Er schlug Purzelbäume, machte Kopfstand, fiel auf die Knie und bekreuzigte sich dreimal. Draußen war die Hölle los. Raketen knallten, Autos hupten und die Leute brüllten “Tor!”. Corinthians hatte wirklich eine riesige Fangemeinde. Sogar der Papagei des Nachbarn feierte mit.

Das Spiel schlug um. Die Corinthianos konzentrierten sich jetzt natürlich auf die Verteidigung und die Boca Juniors versuchten in ihrer Verzweiflung das Letzte aus sich herauszuholen. Maradona schimpfte und beschwerte sich nur noch. Zu spät. Der Schlusspfiff ertönte. Unentschieden, eins zu eins.”