Wenn ich ein Skelett wäre

Wenn ich ein Skelett wäre, könnte ich weder Wasser noch Saft trinken, weil alles auslaufen und das ganze Haus nass machen würde.

Abgesehen davon würde ich morgens froh aufwachen und wie ein Floh aus dem Bett springen.

Es muss ja wirklich lustig sein, ein Knochengerippe zu sein.

Zum Beispiel: Stelle dir vor, eine Bank wird überfallen. Die grimmigen, grausigen, grässlichen Banditen, die bis auf die Zähne bewaffnet sind, knurren:

– Wird’s bald! Wo bleibt die Knete?

Wäre ich ein Skelett, würde ich in die Bank kommen und laut ‘buh!’ rufen.

Ein einfaches ‘buh!’ würde genügen, und diese Banditenbande würde steif vor Schreck zu Boden fallen, die Hosen nass vor feuchter Furcht.

Der Bankleiter und die Kunden der Bank würde mir danken und mich sogar umarmen, nur ein klein wenig, aber ich bin mir sicher, dass sie es täten.

Wäre ich ein Knochengerippe, würdest du vielleicht sehen, wie ich als großer Held gefeiert werde.

Abgesehen davon würde ein Skelett, das bei hellem Tageslicht durch die Straßen schlendert sicherlich eine ziemliche Verwirrung auslösen. Leute, die orientierungslos herumlaufen, heulende Sirenen, ungläubige Menschen, die plötzlich zu beten beginnen, das Heer im Rückzug, die ganze Menge verzweifelt und ich mittendrin, zufrieden am Gehsteig vor mich hin pfeifend.

Es könnte sogar so weit kommen, dass mich ein Fernsehreporter mit einem Mikrofon in der Hand interviewt:

– Wer sind Sie?

Und ich:

– Ich bin ein Skelett.

Und der Reporter:

– Sind Sie aus dem Friedhof geflohen?

Hier würde ich vorgeben, schlecht zu hören:

– Wer will Sie bedrohen?

Und der Reporter, diesmal lauter:

– Sind Sie aus dem Friedhof geflohen?

– Aus dem Liedbuch?

– Friedhof!

– Wirklich? Wer?

Hier verliert der Reporter die Geduld:

– Sind Sie schwerhörig?

Und ich:

– Natürlich bin ich das! Sehen Sie nicht, dass ich nicht einmal Ohren habe?

Wäre ich ein Skelett, würde man mich vielleicht in irgendeiner Schule zum Biologieunterricht mitnehmen. Ich stelle mir schon vor, wie ich dort stehe und der Professor versucht, an meinem Beispiel Knochen für Knochen und Zahn für Zahn zu erklären, dass das Skelett eine Art von Struktur ist, die unser Gewebe, unsere Organe, Nerven und Muskeln stützt.

Ich male mir schon die Fragen und Kommentare der Schüler und Schülerinnen aus:

– Wie hieß es?

– War es männlich oder weiblich?

– Wie alt ist es?

– Ist es oder war es?

– Mager, oder?

– Konnte es lesen oder war es Analfabet?

– Und was ist mit seiner Familie?

– War es reich oder arm?

– Und worüber lacht es denn eigentlich?

Und noch mehr:

– Herr Professor, war es glatzköpfig?

Und währenddessen stünde ich die ganze Stunde lang dort, mit meinem Totenkopfgesicht, ohne auch nur ein Wort zu sagen um die Schüler nicht zu erschrecken und beim Professor keinen Herzinfarkt zu verursachen.

Etwas ist sicher. Im Karneval muss es doch wirklich wunderbar sein, ein Skelett zu sein. Da müsste man sich nicht einmal verkleiden. Man könnte einfach so aus dem Haus gehen, in der Menge tanzen, die Knochen durchschütteln, scherzen und sich treiben lassen. Es scheint beinahe eine Lüge zu sein, aber im Karneval, wo alles Kopf steht, werden wir viel mehr zu denen, die wir eigentlich sind.

Wäre ich ein Skelett, würde ich im Karneval dieses Lied singen:

Wenn ich sterbe will ich keine Tränen und keine Trauer

Ich will nur, dass sie sich an mich erinnert[1]

 

Wir alle wissen, dass der Hund der treuste Freund des Menschen ist.

Was die meisten jedoch unglücklicherweise nicht wissen und die moderne Wissenschaft noch nicht erforscht hat ist, dass der schlimmste Feind des Skeletts bellt, beißt, mit dem Schwanz wedelt, Flöhe hat und gern an Laternenpfosten pinkelt.

Und was wäre, wenn mir als Skelett zufällig ein Straßenköter begegnen würde, mich verfolgen und mit einem meiner Knochen davonlaufen würde?


[1] Frei übersetztes Zitat aus dem bekannten Samba “Fita Amarela” des Brasilianischen Komponisten Noel Rosa.